ARBEITSRECHTSFORUM
HANNOVER
-
FACHANWÄLTE FÜR ARBEITSRECHT
Personalkostenreduzierung durch
Drittpersonaleinsatz
Dienst-
und Werkverträge - Risikoabgrenzung zur Scheinselbstständigkeit und verdeckten
Arbeitnehmerüberlassung
Vortrag
vom 02.04.2014
Reinhardt
Hoth
Notar,
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht
www.hoth.kappel.de
Gliederung
A. Einleitung
I, Problem
11. Vertragstypen, Inhalte,
Definitionen
B. Drittpersonal durch Beauftragung von Einzelpersonen
1 Dienstvertrag, Scheinselbstständigkeit
1. Arbeitsrechtliche Abgrenzung
2. Sozialversicherungsrechtliche Betrachtung
3. Fallgruppen und speziell betroffene
Branchen
a)
Medizinischer Bereich
b)
Lehrkräfte
4. Rechtsfolgen bei Vorliegen von
Scheinselbstständigkeit
a)
Vergütungsansprüche
b)
Sozialversicherungsbeiträge
c)
Strafrechtliche Konsequenzen
d)
Steuerliche Konsequenzen
e)
Arbeitsrechtliche Konsequenzen
5. Risikominimierung
durch Statusfeststellungsverfahren, § 7 a SBG IV
6. Selbstständigkeit und
Sozialversicherungspflicht
11, Werkvertrag mit
Einzelunternehmen
1.
Grundsätze
2.
Aktuelle Rechtsprechung
3.
Rechtsfolgen
Scheinwerkverträge,
verdeckte Arbeitnehmerüberlassung
1. Entwicklung der
Rechtsprechung
a)
Entscheidung BAG 22.06.1994
„Arbeitnehmerüberlassung-Weisungsrecht"
b) Entscheidung LAG Baden-Württemberg „IT DienstleisterTicketsystem"
c) Entscheidung LAG Hamm 24.07.2013 - Facilitymanagement
d) LAG Hamm, Beschluss Aktenzeichen 7 Ta BV 89/13
2. Aktueller Diskussionsstand zum Thema
Abgrenzung Werkverträge / Arbeitnehmerüberlassung
3. Rechtsfolgen verdeckter
Arbeitnehmerüberlassung
IV. Beteiligungsrechte des Betriebsrates, Aspekte bei Einsatz von
Werkverträgen
A. Einleitung
Das Problem
Globalisierter Wettbewerb und rasante technische
Entwicklungen zwingen die Unternehmen in Deutschland wie bereits in der
Vergangenheit auch weiterhin zu Rationalisierungsmaßnahmen und Kostensenkungen.
Ein wichtiges Instrument ist dabei die Verringerung der Fertigungstiefe. Zu
diesem Zweck werden einzelne Aufgaben, sog. Sekundärfunktionen wie Reinigung,
Security, Logistik oder Wartung aber auch ganze Unternehmensteile wie
Fertigungsgruppen oder Entwicklungsbereiche verlagert oder ausgelagert. Einen
sehr umfangreichen und dennoch sicherlich nicht abschließenden Überblick über
Techniken der Verlagerung gibt Düwell in seinem
Beitrag "Outsourcing für Arbeitsrechtlerl.
Bei der Verlagerung von Aufgaben geht es nicht nur
um sog. Outsourcing, d.h. um das Auslagern von Funktionen, vielfach werden
Aufgaben auch lediglich innerbetrieblich auf externe Anbieter verlagert.
Neueste Entwicklung in diesem Bereich ist der sog.
lndustriedienstleistungsvertrag2. Bei einem
Industriedienstleistungsvertrag kommt es zu einer Vereinbarung zwischen zwei
Unternehmen, bei der sich das eine zur Erbringung einer selbständigen
Vertragsdienstleistung im Rahmen industrieller Produktion des anderen
Unternehmens verpflichtet. Diese Verträge können Werk-, Dienst-,
Dienstleistungsverträge oder Geschäftsbesorgungsverträge sein. Die Aufgaben
werden meist im Betrieb des Auftraggebers erfüllt, wobei das Ziel darin
besteht, die gesetzlich geregelte Arbeitnehmerüberlassung zu vermeiden.
Der Bereich industrieller Dienstleistungen hat eine so weitreichende
Bedeutung, dass sich hierfür bereits ein Arbeitgeberverband — ILS — Instore und Logistic Services —
gegründet hat. Tarifpartner der ILS ist die dem Christlichen Gewerkschaftsbund
angehörende Gewerkschaft DHV3. Die untersten
Stundenlöhne industrieller Hilfstätigkeiten liegen danach derzeit deutlich
unter den Stundenlöhnen der Leiharbeiter. Es zeichnet sich ab, dass sich die in
diesem Zusammenhang in der Leiharbeitsbranche mit der CGZP aufgetretenen
Probleme im Bereich der Industriedienstleistungen weiderholen.
AE 5 ff, 2014
2 vgl. Harmann in Beilage NZA 1/2014, S. 3 f.
3 vgl. Harmann, aaO; DHV — Die Berufsgewerkschaft eV
Seite
2 von 26
Um mich dem Thema, d.h. der Abgrenzung von Werk- und Dienstverträgen zu
Arbeitsverträgen und zu unerlaubter, sog. verdeckter Arbeitnehmerüberlassung,
zu nähern, möchte ich auf die unterschiedlichen Erscheinungsformen von
Drittpersonaleinsatz in Unternehmen abstellen. Diese sind:
- Beauftragung von Einzelpersonen durch ein Unternehmen
Dies betrifft die bereits aus der Vergangenheit hinreichend bekannten
Fälle freier Mitarbeit aufgrund von Dienst-
oder Werkverträgen.
- Auslagerung und Verlagerung von Aufgaben oder Bereichen
durch
Übertragung
auf ein anderes Unternehmen, welches seinerseits Arbeitnehmer beschäftigt.
Diese Tätigkeiten können im Betrieb des auftraggebenden
Unternehmens oder auch extern ausgeführt werden. in diesem Bereich ist die
derzeit aktuelle Diskussion um sog. verdeckte Arbeitnehmerüberlassung und
Scheinwerkverträge angesiedelt.
II. Vertragstypen, Inhalte,
Definitionen
Merkblatt Nr. 10 zum AÜG der Bundesagentur für Arbeit4
Liest
man das Merkblatt der BA, stellt sich die Problematik als eher einfach und
übersichtlich dar:
Arbeitnehmerüberlassung
Arbeitnehmerüberlassung
ist gegeben, wenn ein Arbeitgeber (Verleiher) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer)
Dritten (Entleihern) zur Arbeitsleistung überlässt (vgl. § 1 des Arbeitnehmer-
Überlassungsgesetzes (AÜG) vom 7. August 1972 - BGBl. I S. 1393). Sie erschöpft
sich also im bloßen Zurverfügungstellen geeigneter
Arbeitskräfte, die der Dritte nach eigenen betrieblichen Erfordernissen in
seinem Betrieb einsetzt.
Werkvertrag
Durch den Werkvertrag
wird der Unternehmer zur Herstellung des versprochenen Werkes verpflichtet.
Gegenstand des Werkvertrages kann sowohl die Herstellung oder Veränderung einer
Sache als auch ein anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender
Erfolg sein (vgl. § 631 BGB).
4 Bundesagentur für Arbeit, Merkblatt Nr. 10 AÜG - 12/2011
Seite 3 von 26
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung sind grundsätzlich für einen Werkvertrag folgende Merkmale maßgebend:
Vereinbarung und Erstellung eines konkret bestimmten Werkergebnisses bzw.
Veränderung einer Sache;
Eigenverantwortliche Organisation aller sich der Übernahmeverpflichtung
ergebenden Handlungen durch den Werkunternehmer (unternehmerische
Dispositionsfreiheit, auch in zeitlicher Hinsicht; keine Einflussnahme des
Bestellers auf Anzahl und Qualifikation der am Werkvertrag beteiligten
Arbeitnehmer; in der Regel eigene Arbeitsmittel);
Weisungsrecht des Werkunternehmers gegenüber seinen im Betrieb des
Bestellers tätigen Arbeitnehmern; keine Eingliederung in die Arbeitsabläufe
oder in den Produktionsprozess des Bestellerbetriebes;
Tragen des Unternehmerrisikos durch den Werkunternehmer, insbesondere
Gewährleistung für Mängel des Werkes, Erlöschen der Zahlungspflicht des
Bestellers bei zufälligem Untergang des Werkes;
Ergebnisbezogene Vergütung, grundsätzlich
keine Abrechnung nach Zeiteinheiten.
Selbstständiger Dienstvertrag
Ein
selbstständiger Dienstvertrag liegt nur vor, wenn der dienstleistende
Unternehmer die Dienste unter eigener Verantwortung ausführt (Organisation der
Dienstleistung, zeitliche Disposition, Zahl der Erfüllungsgehilfen, Eignung der
Erfüllungsgehilfen usw.). Das bedeutet insbesondere, dass die
Erfüllungsgehilfen in Bezug auf die Ausführung der zu erbringenden
Dienstleistung im wesentlichen frei von Weisungen
seitens des Arbeitsgeberrepräsentanten des Drittbetriebes sind und ihre
Arbeitszeit selbst bestimmen können (Urteil des BSG vom 23.06.1982 = Soz. Recht
4100 § 13 Nr. 6).
Dienstverschaffungsvertrag
Ein
Dienstverschaffungsvertrag ist dann gegeben, wenn ein Vertragspartner die
Verpflichtung übernimmt, dem anderen Vertragspartner nicht eine
Arbeitsleistung, sondern eine selbständige Dienstleistung eines Dritten zu
verschaffen. Voraussetzung dafür ist, dass der Dritte in wirtschaftlicher und
sozialer Selbständigkeit und Unabhängigkeit die Dienste leistet.
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dem Leser ausdrücklich angeraten, hinsichtlich der konkreten Abgrenzung im
Einzelfall und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Durchführung auf die
Beratung durch Angehörige der rechtsberatenden Berufe sowie durch
berufsständische Vereinigungen zurückzugreifen.
B. Drittpersonaleinsatz
durch Beauftragung von Einzelpersonen
Dienstvertrag, Scheinselbstständigkeit
1. Arbeitsrechtliche
Abgrenzung
Der Versuch der Umgehung arbeitsrechtlicher
Schutzvorschriften durch Abschluss von Dienstverträgen mit Einzelpersonen ist
seit Langem bekannt. Die Abgrenzung von Dienstverträgen gegenüber
Arbeitsverhältnissen erfolgt nach den von der Rechtsprechung entwickelten
Kriterien. Danach liegt ein Arbeitsverhältnis vor, wenn die nachfolgenden
Voraussetzungen gegeben sind:
fachliche Weisungsgebundenheit
örtliche und zeitliche
Weisungsgebundenheit
Eingliederung in den
Betrieb
-
angewiesen sein auf eine
fremdbestimmte Organisation, d.h. Einbindung in eine fremdbestimmte
Arbeitsorganisation und Benutzung der betrieblichen Einrichtung, Unterordnung
bzw. Überordnung bzgl. anderer im Dienste des Auftraggebers stehender Personen,
Pflicht zur Übernahme von Vertretungen
-
Organisationsanweisungen
Dritter sind jedoch unerheblich, da damit keine arbeitsvertraglichen Weisungen
erteilt, sondern nur wirtschaftliche Rahmenbedingungen geschaffen werden
-
Leistungserbringung nur in eigener Person'; die
tatsächliche Beschäftigung von Hilfskräften oder Vertretern spricht regelmäßig
gegen das Vorliegen der Arbeitnehmereigenschaft
Verpflichtung angebotene Aufträge
anzunehmen8
5 vgl. BAG,
30.09.1998, 19.11.1997 EzA § 611 BGB
Arbeitnehmerbegriff Nr. 74, 63; 14.03.2007 EzA § 611
BGB 2002 Arbeitnehmerbegriff Nr. 9
6 BAG 06.05.1998, AzR 612/97; BAG 06.05.1998, 5 AzR 247/97; BAG 06.05.1998, 5 AzR
347/97, jeweils zitiert nach Juris
BAG 12.12.2001, 5 AzR 253/00, zitiert nach Juris 8 BAG 16.06.1998, 5 AzN 154/98, zitiert nach Juris
Seite
5 von 26
Aufnahme in einen Dienstplan, der ohne vorherige Absprache mit dem
Arbeitnehmer erstellt wird9
einheitliche Behandlung von Arbeitnehmern, die mit gleichartigen Aufgaben
betreut sind
Berichterstattungspflichten, Verhaltens- und Ordnungsregeln,
Überwachungl°
Fremdnützigkeit der Arbeitsleistung, z.B. Redakteure, die
ihre Arbeitsleistung nicht mit eigenem Risiko am Markt verwerten, sondern einem
Arbeitgeber zur Verwertung überlassen müssen".
Für die Abgrenzung des freien Dienstverhältnisses von einem abhängigen
Arbeitsverhältnis ist der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag zugrunde
zu legen. Es ist sodann in einer Gesamtschau aller Umstände die praktische
Durchführung zu prüfen.
2. Sozialversicherungsrechtliche Betrachtung
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung ist §
7 Abs. 1 SGB IV bzw. seit dem 01.01.1999 § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV. Danach ist
Beschäftigung die nicht selbstständige Arbeit, insbesondere in einem
Arbeitsverhältnis. Nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV (eingefügt erst mit Wirkung vom
01.01.1999 durch Art. 1 Nr. 1 a, Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes zur Förderung der
Selbstständigkeit vom 20.12.1999) sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung
eine Tätigkeit nach Weisung und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation
des Weisungsgebers12.
Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG voraus, dass der
Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Dies ist der Fall, wenn
der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem nach Zeit,
Ort, Dauer und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers
unterliegt. Die Übernahme eines Unternehmerrisikos unter anderem in Form
eigenen Betriebskapitals, einer eigenen Betriebsstätte, eines
eigenen Kundenstamms, eigener Mitarbeiter, unternehmerischer
g BAG 16.03.1994, 5 AzR 447/92
10 BAG 19.11.1997, aa0
11 BAG 23.04.1980, 5 AzR 426/79,
zitiert nach Juris
12 Hess. 1-1 Landessozialgericht, aa0, RdNr. 33
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Entscheidungsbefugnisse und Marktorientierung sowie eine eigene
Gewinnerzielungsabsicht und die Übernahme einer Haftung sind Indizen für das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit.
Insbesondere die Möglichkeit, Hilfskräfte einzusetzen, eigenständig Vertretungen
zu organisieren oder Subunternehmer zu beschäftigen, spricht für eine
selbstständige Tätigkeit, da der Arbeitnehmer seine Leistung höchstpersönlich
zu erbringen hat.
Auch das die Sozialgerichtsgebung knüpft an den
zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag an. Die Entscheidung wird jedoch
getroffen aufgrund einer Gesamtschau aller Umstände, bei der die tatsächliche
Vertragsdurchführung eine wesentliche Rolle spielt.
Anzuknüpfen ist dabei im ersten Schritt an den zwischen den Parteien
geschlossenen Vertrag. Danach gilt als Arbeitsvertrag was als Arbeitsvertrag
von den Parteien bezeichnet wird. Die Bezeichnung als freier Mitarbeiter führt
jedoch andererseits nicht zwingend zur Annahme eines Dienstvertrages.
3. Fallgruppen und speziell betroffene Branchen
a) Medizinischer Bereich
Ärztliche Tätigkeiten können
sowohl im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung als auch durch selbständige
Ärzte im Rahmen freier Dienstverhältnisse ausgeführt werden.
Kann ein Honorararzt zum Beginn des Einsatztages z.B. den
OP-Saal auswählen in dem er tätig sein will, übernimmt er nur die vertraglich
vereinbarten Anästhesiedienstleistungen und erfolgt die Bezahlung
ausschließlich nach den tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden, wobei der Arzt
auf eigene Kosten eine Berufshaftpflicht abgeschlossen hat, spricht dies für
eine selbständige Tätigkeit13, dies trotz wesentlicher Indizien für
eine abhängige Beschäftigung, da der Narkosearzt die vorhandene Infrastruktur
des Krankenhauses, z.B. durch Mitbenutzung der Betriebseinrichtungen und
Betriebsmittel in Anspruch nahm.
13 SG Berlin 10.02.2012, S 208 KR 102/09
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Dem gegenüber hält das LSG Baden Württemberg14 die Tätigkeit eines Anästhesisten als Honorararzt für eine abhängige
Beschäftigung, Die Klinik könne einem nicht niedergelassenen Arzt nur im Rahmen
eines Beschäftigungsverhältnisses Anästhesieaufgaben übertragen. Etwas anderes
mag gelten, wenn der Anästhesist sich mit einer eigenen Praxis — gleichviel in
welchem Umfang — niedergelassen hat. Dann kommt es allein auf Art und Umfang
der Eingliederung an.
Honorarpflegekräfte
üben in aller Regel eine abhängige Beschäftigung
aus, wenn sie in einem Pflegeheim neben angestellten Mitarbeitern in
Nachtwachen tätig sind. Es besteht sodann kein Unterschied zu einer Tätigkeit
als abhängig Beschäftigter, mithin kein Unternehmerrisiko. Die Eingliederung in
den Betriebsablauf ergibt sich in diesen Fällen bereits aus den gesetzlichen
Regelungen (§ 71 f. SGB XI). Danach sind die Tätigkeiten vorgegeben und deren
Ausübung steht unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegekraft15. Gleiches gilt nach Ansicht des LSG Hamburgs für Pflegetätigkeiten als Kranken- und/oder Altenpfleger. Dies folge
bereits aus der Eigenart dieser Tätigkeiten.
Dennoch können auch im medizinischen Pflegebereich
freie Mitarbeiterverhältnisse begründet werden. So hält das LSG Bayern17 ambulante Pflegediensttätigkeiten
in freier Mitarbeit für möglich und zulässig. Dies
ist z. B. der Fall, wenn der Auftragnehmer mehrere Auftraggeber hat, sich
vertreten lassen kann, den Zeitraum seines Tätigwerdens selbst bestimmen kann,
eigene Betriebsmittel wie Pkw und Dienstkleidung nutzt, möglicher Weise ein
eigenes Büro hat und nicht gezwungen ist, regelmäßig an von dem Betrieb
festgelegten Dienstbesprechung mit Berichtspflicht teilzunehmen.
b) Lehrkräfte
Nach dem Grundsatzurteil des BAG18 ist zur Frage der
Abgrenzung zwischen freier Mitarbeit und Arbeitnehmertätigkeit bei Lehrern und
Lehrkräften
14 LSG Baden Württemberg 17.04.2013, L 5 R 3755111
15 LSG Baden Württemberg, 19.10.2012, L
4 R 761/11 10 LSG Hamburg 10.12.2012, L 2 R 13/09
17 LSG Bayer 22.03.2011, L 5 R 627/09; 24.11.2009, L 5 R 867/08
18 GAG 24.06.1992, 5 AzR 384/91; zuletzt BAG
15.02.2012, 10 AzR 301/10
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entscheidend, wie sie in den Unterrichtsbetrieb eingebunden sind. Danach
sind Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen in der Regel Arbeitnehmer,
unabhängig davon, ob es sich um eine hauptberufliche oder um eine
nebenberufliche Tätigkeit handelt. Eine Arbeitnehmertätigkeit liegt
insbesondere vor, wenn ein dichtes Regelwerk an Gesetzen, Verordnungen und
Richtlinien in Bezug auf die Unterrichtsziele sowie auch die Art und den Umfang
des Unterrichts zwingend einzuhalten sind.
Dem gegenüber sind Lehrkräfte an Volkshochschulen
in der Regel selbständig tätig, insbesondere dann, wenn die unterrichteten
Schüler keiner Unterrichtspflicht unterliegen, nur stundenweise Unterricht
erteilt wird, keine Vorgabe in methodisch-didaktischer Hinsicht erfolgt und die
Lehrkraft die zeitliche Lage der Unterrichtsstunden selbst gestalten oder mit
gestalten kann.
Hausaufgabenbetreuung im offenen Ganztag einer Schule ist selbständige
Tätigkeit19. Für eine selbständige Tätigkeit spricht es, wenn die
Hausaufgabenbetreuung inhaltlich nicht vorgegeben und die Lage der Arbeitszeit
zwar zuvor konkret vereinbart worden ist, Weisungen insoweit aber nicht ergehen. Allein die Erstellung eines Stundenplans für den
Ganztag führt nicht zu einer Eingliederung im Sinne eines Arbeitsverhältnisses,
weil nur die Abläufe geregelt werden, in denen die Schüler die
Hausaufgabenbetreuung durchlaufen.
Volkshochschuldozenten, die
nur Zusatzunterricht erteilen, sind selbständig täte. Dies gilt auch dann, wenn
es sich bei einem Unterricht um gegenseitig abgestimmte Kurse mit zuvor
festgelegtem Programm handelt.
Bei Lehrkräften in JVAs, die
Untersuchungshäftlinge außerhalb der Schulpflicht unterrichten, ist
entscheidend, wie intensiv die Lehrkraft in den Unterrichtsbetrieb eingebunden
ist, in welchem Umfang sie den Unterrichtsinhalt, die Art und die Weise der
Unterrichtserteilung, ihre Arbeitszeit und die sonstigen Umstände der
Dienstleistung mitgestaltet und inwieweit sie zu Nebenarbeiten herangezogen
werden kann. Danach liegt eine Arbeitnehmereigenschaft jedenfalls dann vor,
wenn
19 LAG Düsseldorf 18.03.2013, 9 Sa 1746/12
20 LAG Düsseldorf
18.11.2011, 8 Sa 257/11
Seite
9 von 26
sich der Unterrichtseinsatz der Lehrkraft nach dem Stundenplan richtet und
diese Arbeitszeit vom Arbeitgeber durch Weisung einseitig festgelegt wird
-
die Lehrkraft in den Ferien Unterricht nach
Bedarf zu erteilen hat und von
der Lehrkraft die ständige Dienstleistungsbereitschaft
erwartet wird
-
die Schüler der Lehrkraft zugewiesen werden
und sie an die Zielsetzung
des Unterrichts durch das Land gebunden ist, da die Lehrkraft dann in den
Unterrichtsbetrieb mit einbezogen ist21
4. Rechtsfolgen bei Vorliegen von Scheinselbstständigkeit
Hier ist zu unterscheiden zwischen einer Kenntnis beider Parteien von der
falschen Rechtswahl und einem beiderseitigen Rechtsirrtum.
a) Vergütungsansprüche
Wollten beide Vertragsparteien sozialversicherungs- und
lohnsteuerrechtliche Folgen umgehen, handelt es sich nicht um ein
Scheingeschäft iSv § 117 BGB. Es liegt vielmehr ein
wirksamer Vertrag vor für den bewusst eine falsche Bezeichnung gewählt wurde.
Rückzahlungsansprüche des Arbeitgebers wegen geleisteter Mehrzahlungen in Form
der Differenz zwischen der üblichen Vergütung und der höheren Vergütung im
Dienst- oder Werkvertrag sind in diesem Fall nach § 814 BGB ausgeschlossen.
Befanden
sich beide Parteien über die Einordnung des Vertragsverhältnisses in einem
Rechtsirrtum geht die Rechtsordnung von dem Wegfall der Geschäftsgrundlage gem.
§ 313 BGB mit einer entsprechenden Anpassung des Vertrages aus22.
Die Vergütung richtet sich dann nach § 612 Abs. 2 BGB, in der Regel jedoch nur
für die Zukunft23. Fehlt es an einer Vergütungsvereinbarung für das
in Wahrheit vorliegende Arbeitsverhältnis steht dem Arbeitgeber ein Anspruch
auf Rückzahlung der Differenz zwischen gezahlter und arbeitnehmerüblicher
Vergütung und auf Erstattung des Arbeitnehmeranteils zur Sozialversicherung
gern. §§ 812 f. BGB zu24.
21 BAG 15.02.2012, 10 AzR 301/10
22 BAG 09.07.1986, 5 AzR 44/85
23 BAG 21.02.1998, 5 AzR 50/97
24 BAG 08.11.2006, 5 Azr 706/05
Seite 10 von 26
Gern. § 25 SGB IV kommt es zu
Nachforderungsansprüchen der Sozialversicherungsträger gegen den Arbeitgeber
gern. § 28 e Abs. 1 S.1 SGB IV. Der Arbeitgeber kann jedoch nach § 28 g SGB IV
seinen Anspruch auf Erstattung gegen den Arbeitnehmer nur im
Lohnsteuerabzugsverfahren geltend machen. Dies bedeutet, dass der Einbehalt nur
bei den drei nächsten Lohnzahlungen nachgeholt werden darf, wenn der Abzug ohne
Verschulden des Arbeitgebers unterblieben ist. Dabei kann sich der Arbeitnehmer
sodann auf § 818 Abs. 3 BGB, d.h. auf den Wegfall der Bereicherung berufen, was
von ihm nachzuweisen ist. Das BAG lässt dem Arbeitnehmer jedoch hier eine
Beweiserleichterung zukommen, insbesondere bei geringfügigen
Überzahlungen25. Tariffiche Ausschlussfristen sind zu beachten.
b)
Sozialversicherungsbeiträge
Im Rahmen der vierjährigen Verjährung nach § 25 SGB IV kommt es zu
Nachforderungsansprüchen der Sozialversicherungsträger gegen den Arbeitgeber
gemäß § 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV.
Die Nachforderungsansprüche der Sozialversicherung
verjähren bei vorsätzlicher Beitragsvorenthaltung erst nach Ablauf von 30
Jahren, wobei Schuldner der Gesamtsozialversicherungsbeiträge allein der
Arbeitgeber ist.
c)
Strafrechtliche Konsequenzen
Strafrechtliche Konsequenzen einer falschen
Einordnung bzw. Handhabung eines Arbeitsverhältnisses als Dienstverhältnis sind
Folgende:
Gem. § 370 AO besteht abhängig vom Grad des Verschuldens eine Strafbarkeit
wegen Vorenthaltens von Lohnsteuer. Gern. § 266 a StGB kommt es zu einer
Strafbarkeit wegen der Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen. Dabei
besteht eine persönliche Verantwortlichkeit des Geschäftsführers und anderer
bevollmächtigter Personen gem. § 14 Abs. 2 StGB.
25 BAG 09.02.2005, aaO; 12.01.1994, 5 AzR 597/92
Seite 11 von 26
d)
Steuerliche
Konsequenzen
Steuerrechtlich haften Arbeitgeber und Arbeitnehmer für nicht abgeführte
Lohnsteuer als Gesamtschuldner nach § 42 d Abs. 3 S. 1 EStG. Es besteht
allerdings eine volle Regressmöglichkeit des Arbeitgebers bezgl. der
nachzuentrichtenden Lohnsteuer gegenüber dem Arbeitnehmer.
e)
Arbeitsrechtliche
Konsequenzen
Arbeitsrechtlich führt die Scheinselbständigkeit
zur Anwendung der arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften, insbesondere
Kündigungsschutz und Altersversorgungsansprüche.
5. Risikominimierung durch
Statusfeststellungsverfahren § 7 a SGB IV
Innerhalb eines Monats kann bei der Klärungssteile der Sozialversicherer
eine Anfrage auf Statusfeststellung gestellt werden, dem der Beschäftigte
zustimmen muss. Wird die Sozialversicherungspflicht festgestellt, tritt diese
frühestens mit der Statusentscheidung der Deutschen Rentenversicherung BUND
ein. Erst zu diesem Zeitpunkt werden die Gesamtsozialversicherungsbeiträge
fällig.
6. Selbstständigkeit und
Sozialversicherungspflicht
Hinzuweisen bleibt darauf, dass in bestimmten Bereichen freie Mitarbeiter
gesetzlich sozialversicherungspflichtig sind. So z.B. Heimarbeiter Lehrer oder
Erzieher, Personen die in der Regel nur für einen Auftraggeber tätig sind und
Künstler und Publizisten.
Werkvertrag mit
Einzelunternehmern 1. Grundsätze
Für die Unterscheidung zwischen Werkvertrag und Arbeitsverhältnis gelten im
Prinzip die gleichen Grundsätze wie bei der Unterscheidung zwischen
Arbeitsverhältnis und freiem Dienstvertrag. Da jedoch der Auftragnehmer bei
Seite 12 von 26
einem Werkvertrag mit der Herstellung oder Veränderung einer Sache bzw. mit
der Herbeiführung eines bestimmten Erfolgs aufgrund Arbeit oder Dienstleistung
beauftragt wird, ist als zusätzliches Kriterium zu prüfen, ob und inwieweit ein
abnahmefähiges Werk vom Auftragnehmer als eigene Leistung hergestellt wird.
Weiterhin ist zu prüfen, ob der Auftraggeber das Werk abnimmt und ob
tatsächlich Gewährleistungsansprüche im Fall des Vorliegens von Mängeln geltend
gemacht werden.
Ist dies nicht der Fall, liegt in der Regel kein Werkvertrag vor. Hier
greift die von der Rechtsprechung zwischenzeitlich schlagwortartig
herausgestellte Unterscheidung, wonach im Arbeitsverhältnis ein
personenbezogenes Direktionsrecht besteht, während im Werkvertrag lediglich
objektbezogene Anweisungen möglich sind.
2. Aktuelle Rechtsprechung
BAG vom 25.09.2013
„Wissenschaftliche Hilfskraft beim bayrischen Landesamt für
Denkmalpflege"
Die instruktive Entscheidung des BAG vom 25.09.201326 hat hier
weitere Klarheit gebracht. In der Entscheidung geht es nicht um die Abgrenzung
von Werkverträgen zu verdeckter Arbeitnehmerüberlassung, vielmehr stritten die
Parteien darüber, ob zwischen ihnen ein Arbeitsverhältnis oder ein Werkvertrag
bestand.
Der
Kläger war für die Beklagte mit Unterbrechungen seit 2005 auf der Grundlage von
10 als Werkvertrag bezeichneten Verträgen tätig geworden. Im letzten Vertrag
vom 23.03./01.04.2009 ist die „Vorarbeit für die Nachqualifizierung der
Denkmalliste für die Kreisfreie Stadt und den Landkreis Fürth sowie für den
Landkreis Nürnberger Land" vereinbart. Danach war Aufgabe des Klägers, im
Rahmen des Nachqualifizierungs- und Revisionsprojekts des Bayrischen Landesamts für Denkmalpflege (BLfD)
Bodendenkmäler in einem EDV-gestützten System zu erfassen und nachzuqualifizieren. Abhängig vom Standort der Ortsakten
konnte die Tätigkeit
26 BAG 25.09.2013, 10 AzR 282/12
Seite 13 von 26
nur in den Dienststellen des BLfD
erbracht werden. Einen Schlüssel zu diesen Dienststellen besaß der Kläger
nicht. Er musste allerdings regelmäßig von 07.30 Uhr bis 17.00 Uhr arbeiten,
ihm wurde über einen PC-Arbeitsplatz mit persönlicher Benutzerkennung der
Zugang zu den Eingabemasken ermöglicht. Der Termin zur Fertigstellung der
vereinbarten Leistungen wurde anhand der Zahl der im Arbeitsgebiet bekannten
archäologischen Fundstellen kalkuliert und exakt auf den 30. November 2009
festgelegt. Der Kläger konnte die Vergütung von insgesamt 31,200,00 €
einschließlich Mehrwertsteuer nach Abschluss jeweils bestimmter in
Einzelbeträgen von je 5.200,00 abrechnen.
Das BAG hat in diesem Fall das Bestehen eines
Arbeitsverhältnisses festgestellt, obwohl die Parteien das Vertragsverhältnis
als Werkvertrag bezeichnet hatten. In der Entscheidung werden die Folgenden
grundsätzlichen Kriterien zur Abgrenzung formuliert:
Nach § 631 BGB wird der Unternehmer durch einen
Werkvertrag zur Herstellung des versprochenen Werkes verpflichtet. Gegenstand
des Werkvertrages ist die Herstellung oder Veränderung einer Sache oder ein
anderer durch Arbeit oder Dienstleistung herbeizuführender Erfolg. Gegenstand
eines Dienstvertrages nach § 611 Abs. 1 BGB ist dagegen die Tätigkeit als
solche. Bei einem Arbeitsverhältnis wird die vereinbarte Tätigkeit
weisungsgebunden, d.h. in persönlicher Abhängigkeit geleistet. Welches
Rechtsverhältnis vorliegt ist anhand einer Gesamtwürdigung aller maßgebenden
Umstände des Einzelfalles zu ermitteln. Widersprechen sich Vereinbarung und
tatsächliche Durchführung ist Letztere maßgebend.
„Fehlt es an
einem vertraglich festgelegten, abgrenzbaren, dem Arbeitnehmer als eigene
Leistung zurechenbaren und abnahmefähigen Werk, kommt ein Werkvertrag kaum in
Betracht, weil der Auftraggeber dann durch weitere Weisungen den Gegenstand der
vom Auftragnehmer zu erbringenden Leistung erst bestimmen und damit Arbeit und
Einsatz erst bindend organisieren muss. «27
Wesentlich
ist danach, inwiefern Weisungsrechte ausgeübt werden und in welchem Maß der
Auftragnehmer in einen bestellerseitig organisierten
27 BAG, aaO, Leitsatz
Seite 14 von 26
Produktionsprozess eingegliedert ist. Zwar steht auch einem Werkbesteller
gegenüber dem Werkunternehmer das Recht zu, Anweisungen für die Ausführung des
Werkes zu erteilen (§645 Abs. 1 S. 1
BGB). Davon abzugrenzen ist aber die Ausübung von Weisungsrechten bzgl. des
Arbeitsvorganges und der Zeiteinteilung. Weisungen, die sich ausschließlich auf
das vereinbarte Werk beziehen, können im Rahmen eines Werkvertrages erteilt
werden; wird die Tätigkeit aber durch den Besteller geplant und organisiert und
wird der Werkunternehmer in einen arbeitsteiligen Prozess in einer Weise
eingegliedert, die eine eigenverantwortliche Organisation der Erstellung des
vereinbarten Werks faktisch ausschließt, liegt ein Arbeitsverhältnis nahe.
Für das BAG war als Indiz für die persönliche
Abhängigkeit die örtliche Einbindung des Klägers in die Arbeitsorganisation des
Beklagten wesentlich. Auch konnte der Kläger nicht die zur Erreichung des
Erfolgs notwendigen Handlungen nach eigenen betrieblichen Voraussetzungen
organisieren, so z.B. eigene Fachsoftware auf dem Rechner einsetzen. Er war in
die tägliche Arbeitszeit des Beklagten fest eingebunden. Die vereinbarte
Vergütung war exakt auf die Laufzeit des Vertrages kalkuliert. Hinzu kam, dass
der Kläger inhaltlichen Weisungen unterworfen war. Diese ergaben sich z.B. aus
den Richtlinien des Projekthandbuchs einschließlich darin enthaltener
Formulierungsvorgaben. Letztlich musste der Kläger seine Leistung persönlich
erbringen.
3. Rechtsfolgen
Die Rechtsfolgen eines fehlerhaft eingeordneten Werkvertrages, der sich als
Arbeitsverhältnis herausstellt, entsprechen denen, die vorstehend zum
Dienstvertrag bereits dargestellt wurden. Da an dieser Stelle nur die
Rechtsbeziehungen des Auftraggebers zum Einzelauftragnehmer betroffen sind,
kommen Fragen zur Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung
nicht zum Tragen. Diese Problematik tut sich erst dort auf, wo der Auftraggeber
nicht einer Einzelperson einen Werk- oder Dienstauftrag erteilt, sondern der
Auftrag an ein Unternehmen gegeben wird, welches dann
eigene Mitarbeiter einsetzt. Werden diese individuell für den Auftraggeber in
dessen Organisation und unter dessen Direktionsrecht tätig,
Seite 15 von 26
kann dies zur Unwirksamkeit der werkvertraglichen Vereinbarung mit der
Folge einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung führen.
UI. Scheinwerkverträge,
verdeckte Arbeitnehmerüberlassung
1. Entwicklung der Rechtsprechung
a) Entscheidung BAG 22.06.1994
„ArbeitnehmerüberlassungWeisungsrecht"28
Bereits im Jahre 1994 hatte das BAG zur
ursprünglichen Fassung des AÜG festgestellt, dass ein Arbeitnehmer im Sinne von
§ 1 Abs. 1 AÜG nicht bereits dann einem Dritten zur Arbeitsleistung
„überlassen" wird, wenn er aufgrund eines Arbeitsvertrages Weisungen des
Dritten zu befolgen hat. Erforderlich ist vielmehr, dass er innerhalb der
Betriebsorganisation des Dritten für diesen und nicht weiterhin allein für
seinen Arbeitgeber tätig wird. Letzteres ist der Fall, wenn der Arbeitnehmer
durch seine Arbeitsleistung nach wie vor ausschließlich Pflichten erfüllt, die
seinem Arbeitgeber gegenüber fremden Auftraggebern obliegen.
In der Entscheidung ging es um einen sog.
Autolotsen, der mit Lastkraftwagen seines Arbeitgebers Transportaufträge für
eine Spedition ausführte. Die einzelnen Transportaufträge erhielt der Kläger
dann jedoch von der Spedition als Auftraggeber seines Arbeitgebers.
Diese Konstellation führt nach dem BAG nicht zu einer
Arbeitnehmerüberlassung im Sinne von § 1 AÜG. Von einer „Überlassung" kann
nicht die Rede sein, wenn der Arbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsvertrages
zwar auch die Weisungen eines Dritten zu befolgen hat, nach wie vor aber allein
innerhalb der Betriebsorganisation seines Arbeitgebers für diesen tätig zu
werden hat.29 Bei der Arbeitnehmerüberlassung werden dem Entleiher
die Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt. Der Entleiher setzt sie nach seinen
Vorstellungen und Zielen in seinem Betrieb wie eigene Arbeitnehmer ein. Die
überlassenen Arbeitskräfte werden voll in den Betrieb des Entleihers
eingegliedert. Nur wenn der
Seite 16 von 26
Arbeitnehmer aufgrund des mit dem Verleiher bestehenden Arbeitsvertrages
verpflichtet ist, bei dem Entleiher in dessen Betriebsorganisation integriert
zu arbeiten und dessen Betriebszwecke zu fördern, liege eine
Arbeitnehmerüberlassung vor.
Leider hat die Rechtsprechung diesen Weg nicht konsequent weiterverfolgt.
Statt weiterhin darauf abzustellen, ob die Integration des von dem beauftragten
Unternehmer eingesetzten Personals in den Betrieb des Auftraggebers erfolgt, um
dessen Betriebszwecke zu fördern, stellt die aktuelle Rechtsprechung wesentlich
darauf ab, ob die geschuldete Leistung werkvertraglichen oder
dienstvertraglichen Charakter hat und in welchem Umfang Weisungsrechte des
Auftraggebers bestehen.
b) Entscheidung LAG Baden-Württemberg „IT
Dienstleister — Ticketsystem"
Das BAG wird sich noch im Laufe dieses Jahres erneut mit der
Abgrenzungsproblematik zu beschäftigen haben. Zur Entscheidung steht in dem auf
den 21.10.2014 anberaumten Termin vor dem 9. Senat 30 die Frage, ob
die Direktbeauftragung von Arbeitnehmern durch den Entleiher, soweit es sich
nicht um untypische Einzelfälle, sondern um beispielhafte Erscheinungsformen
durch die geübte Vertragspraxis handelt, dazu führt, dass ein ursprünglich als
Werkvertrag klassifiziertes Vertragsverhältnis zu einem Scheinwerkvertrag
mutiert.
Das LAG Baden-Württemberg31 hat dies angenommen mit der Folge,
dass zwischen den Klägern und dem Auftraggeber", da dem Auftragnehmer die
Erlaubnis nach § 1 AÜG fehlte, gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist.
Betroffen
waren zwei freie Mitarbeiter eines IT-Systemhauses. Diese waren über einen
Zeitraum von rund 10 Jahren im Rahmen eines Werkvertrages bei der Daimler AG
beschäftigt. Das IT-Systemhaus war ein Subunternehmen eines
BAG 21.10.2014, Az. 9 AZR 748/13
31 LAG Baden-Württemberg
01.08.2013,Az, 2 Sa 6/13
Seite 17 von 26
führenden IT-Dienstielsters, der die freien
Mitarbeiter ausschließlich bei der Daimler AG im Rahmen eines Werkvertrages
einsetzte. Sie waren im Rahmen eines IT-Supports für die Funktionsfähigkeit für
Computerarbeitsplätzen verantwortlich. Sie führten das
Bestellwesen für Hard- und Software durch, sie verfügten auf dem
Betriebsgelände der Firma Daimler AG über ein eigenes Zimmer. Inventar und
Computerarbeitsplätze wurden von Daimler gestellt. Im Telefonverzeichnis von
Daimler wurden die Kläger mit dem Hinweis „extern" geführt.
Zwischen dem IT-Dienstleister und Daimler war ein Ticketsystem vereinbart
worden. Danach waren bei Daimler auftretende IT-Probleme an den ITDienstleister zu übermitteln, damit dieser sich um die
Bearbeitung kümmern konnte. Nach dem vorgegebenen Ticketsystem war die
Bearbeitung eines ITAuftrages an die Eröffnung einer
Ticketnummer gebunden. Die Direktbeauftragung von einzelnen Mitarbeitern des
IT-Dienstleisters durch Arbeitnehmer von Daimler sollte ausgeschlossen sein.
Praktisch wurde dieses System jedoch nicht gelebt. Vielmehr wurden die Kläger
in den Betrieb von Daimler integriert und außerhalb des Ticketsystems von
Daimler direkt eingesetzt.
Das LAG Baden-Württemberg hat das vereinbarte Ticketsystem unproblematisch
dem Werkvertragsrecht zugeordnet.32 Die Einbindung und unmittelbare
Beauftragung der Kläger führte jedoch dazu, dass diese nicht im Rahmen des
Werkvertrages für den IT-Dienstleister, sondern aufgrund Eingliederung in den
Betrieb von Daimler unmittelbar für diesen tätig wurden. Dabei geht das LAG von
der Rechtsprechung des BAG aus, welches zwischen
a rbeitsvertrag lichen/personen bezogenen Weisungen und
werkbezogenen/objektbezogenen Anweisungen unterscheidet.33 Die
Grenze zur arbeitsvertraglichen Anweisung werde insbesondere dann
überschritten, wenn der Dritte erst durch seine Anweisungen den Gegenstand der
von den Erfüllungsgehilfen im Rahmen des Werkvertrages zu erbringenden
Leistungen bestimmt. Weisungen des Dritten, die die Art und Weise der
Arbeitsleistung
(Inhalt, Zeit, Ort, Tempo, Ausführung) betreffen, indizieren
Arbeitnehmerüberlassung, werkbezogene Anweisungen (z. B. bestimmte
32 LAG Baden-Württemberg a.a.O. Rd. Nr. 95
33 BAG 30.01.1991, Az. 7
AZR 497/98
Seite 18 von 26
Fertigungsmethoden, Qualitätsanforderungen, Reihenfolge,
Stückzahl) sind dem Werkvertragsrecht zuzuordnen. Schwierig werde diese
Unterscheidung allerdings bei Weisungen mit Doppelnatur. in diesen Fällen ist
in Folge des implizit mit ausgeführten formalen Weisungsrechts eine Zuordnung
nach den für das formale arbeitsvertragliche Weisungsrecht maßgeblichen
Kriterien vorzunehmen. D. h., dass die Anweisungen darauf zu untersuchen sind,
ob und inwieweit sie dem arbeitsrechtlichen Direktionsrecht zuzuordnen sind.
Durch die unmittelbare Beauftragung der Kläger zur Beseitigung von ITProblemen bei Daimler, durch die räumliche und sachliche
Eingliederung in den Betriebsablauf bei Daimler und aufgrund der fehlenden
Abnahme einzelner Aufträge sowie nicht geltend gemachter
Gewährleistungsansprüche steht für das LAG fest, dass die Kläger nicht in
Erfüllung eines Werkvertrages ihres Arbeitgebers/Auftraggebers tätig waren,
sondern im Wege der Arbeitnehmerüberlassung der Firma Daimler zur Verfügung
gestellt wurden. Der entschiedene Fall hat darüber hinaus das ganze Spektrum
der Abgrenzung von Arbeitsverträgen, Dienst- und Werkverträgen sowie
Arbeitnehmerüberlassung zum Gegenstand. Denn zu allem Überfluss waren die
Kläger bei dem ITDienstleister nicht als
Arbeitnehmer, sondern als freie Mitarbeiter beschäftigt. Beiläufig stellt das
LAG in diesem Zusammenhang unter Anwendung der oben dargelegten Grundsätze
fest, dass zwischen dem IT-Dienstleister und den Klägern keinesfalls ein freies
Mitarbeiterverhältnis, sondern vielmehr ein Arbeitsverhältnis bestanden hat.
Darauf kam es jedoch nicht mehr an, da wegen unzulässiger
Arbeitnehmerüberlassung die Kläger aufgrund gesetzlicher Fiktion als
Arbeitnehmer von Daimler zu klassifizieren waren.
Mit Blick auf die bisherige Entwicklung der Rechtsprechung ist davon
auszugehen, dass das BAG diese Entscheidung bestätigen wird. Der Fall bietet
ausreichend Stoff für eine Grundsatzentscheidung.
c) Entscheidung LAG
Hamm 24.07.2013 — Facilitymanagement34
Im
Fall eines Hausmeisters entschied das LAG Hamm, dass der Kläger aufgrund der
Fiktion des § 10 Abs. 1 AÜG Auftragnehmer des auftraggebenden
Unternehmens ist. Das LAG klassifizierte den werkvertraglichen Rahmenvertrag
34 LAG Hamm 24.07.2013 (Az. 3 Sa 1749/12) —rechtskräftig-
Seite 19 von 26
als verdeckte Arbeitnehmerüberlassung, für die der Werkunternehmer keine
Genehmigung nach § 1 AÜG hatte.
Der Kläger war Mitarbeiter eines Reinigungsunternehmens. Dieses hatte mit
einer Tochterfirma von Bertelsmann einen Rahmenvertrag geschlossen. Durch
Buchung einzelner Module aufgrund der Rahmenvereinbarung konnte die
Tochterfirma von Bertelsmann Dienstleistungen des Arbeitgebers des Klägers in
Anspruch nehmen. Es ging dabei um Hausmeistertätigkeiten, wobei die Bertelsmanntochter über ein eigenes Facilitymanagement
verfügte. Dem Kläger war ein Arbeitsplatz bei der Bertelsmanntochter
zur Verfügung gestellt worden, welchen diese vollständig mit Betriebsmitteln
ausgestattet hatte. Urlaubszeiten wurden mit der Auftraggeberin abgestimmt,
Aufträge wurden von dieser zumindest teilweise direkt erteilt, nach längerer
Krankheit organisierte die Bertelsmanntochter die Wiedereingliederung
des Klägers. Die Arbeitgeberin des Klägers verfügte nicht über eine Erlaubnis
gemäß § 1 Abs. 1 AÜG.
Vergleichbar dem Ticketsystem in der Entscheidung des LAG Baden-Württemberg
gab es auch hier eine Rahmenvereinbarung, innerhalb derer bestimmte Aufträge
abgerufen werden sollten. Dazu stellt das LAG Hamm fest, dass, lägen keine
schriftlichen Einzelaufträge vor, und gäbe es auch kein —im Voraus-
angefertigtes schriftliches Leistungsverzeichnis, es an einer werkvertraglich
definierten Leistung fehle. Werden erst im täglichen Ablauf die Aufgaben des
eingesetzten Arbeitnehmers im Einzelnen bestimmt, so spricht dies indiziell für
eine Arbeitnehmerüberlassung.35
Darüber
hinaus komme es auf die Gesamtumstände an. In diesem Zusammenhang stellt das LAG
Hamm ebenfalls auf die Unterscheidung zwischen arbeitsvertraglich
personenbezogenen und werkvertraglich objektbezogenen Anweisungen des
Werkbestellers/Entleihers ab. Ergänzend wird, wie in allen bisherigen
Abgrenzungsentscheidungen abgestellt auf das Maß der Eingliederung des
Arbeitnehmers in die betrieblichen Abläufe des Auftraggebers in Bezug auf
Arbeitszeiten, Arbeitsplatz, etc. Im entschiedenen Fall war von besonderer
Bedeutung, dass der Auftraggeber sich sogar um die Wiedereingliederung des
Klägers nach längerer Krankheit gekümmert hatte.
35 LAG Hamm, a. a. 0. Rd. Nr. 193
Seite 20 von 26
d) LAG
Hamm, Beschluss Aktenzeichen 7 Ta BV 89/13
Bei dieser Entscheidung des LAG Hamm geht es um
einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats wegen des Personaleinsatzes von
Mitarbeitern, die teilweise nicht bei der Arbeitgeberin, sondern bei einem
externen Drittunternehmen beschäftigt waren. Zu klären war also die Frage, ob
und inwieweit die externen Mitarbeiter in den Betrieb der Arbeitgeberin
integriert waren. Dazu stellte das LAG Hamm fest, dass zwischen der
Arbeitgeberin und dem Drittunternehmen ein Werkvertrag bestand, mithin keine,
Mitbestimmungsrechte begründende Eingliederung in den Betrieb der Arbeitgeberin
vorgelegen habe. Die externe Firma führte Reinigungsarbeiten durch und benutzte
auf dem Betriebsgelände der Arbeitgeberin einen eigenen, abgeschlossenen und
für die Mitarbeiter der Arbeitgeberin nicht zugänglichen Raum, in welchem
eigene Arbeitsmittel gelagert wurden. Arbeitsanweisungen und Arbeitseinsätze
wurden nur über die Vorgesetzten der externen Reinigungsfirma an deren
Mitarbeiter gegeben. Der externe Reinigungsbetrieb verfügte über einen eigenen
Betriebsrat.
Das LAG Hamm stellt dazu zutreffend fest, dass nach ständiger
Rechtsprechung eine betriebsverfassungsrechtliche Zuständigkeit des
Betriebsrats der Arbeitgeberin nicht nur dann vorliegt, wenn die Arbeitgeberin
eigene Arbeitnehmer einstellt oder einsetzt, sondern auch dann, wenn
Beschäftigte anderer Betriebe derart in den Betriebsablauf eingegliedert
werden, dass zumindest wesentliche Elemente des arbeitgeberseitigen
Direktionsrechts im Sinne des § 106 GewO ihnen gegenüber ausgeübt werden.36
Danach ist die Eingliederung in den Betrieb auch bei Arbeitnehmer von
Drittfirmen möglich, die aufgrund eines Dienst- oder Werkvertrages mit
weisungsgebundenen Tätigkeiten im Betrieb beauftragt werden, falls der
Betriebsinhaber und nicht der beauftragte Unternehmer das für ein
Arbeitsverhältnis typische Weisungsrecht inne hat und die Entscheidung über den
Einsatz nach Zeit und Ort trifft.37 Diese Voraussetzungen sah das
LAG vorliegend jedoch nicht als erfüllt an. Die Vereinbarung zwischen der
Arbeitgeberin und dem Drittunternehmen enthalte hinreichende organisatorische
Vereinbarungen und Vorkehrungen, um ein arbeitgeberseitiges Weisungsrecht
gegenüber den Mitarbeitern des
36 LAG Hamm, a. a. 0., Rd. Nr. 86 m.w.N.;
BAG 13.12.2005, 1 ABR 51/04
37 BAG a. a. 0., BAG 13.12.2005, 1 ABR 51/04
Seite 21 von 26
Drittunternehmens auszuschließen. Folglich sah das LAG ein
Mitbestimmungsrecht nicht als gegeben an.
2. Aktueller Diskussionsstand zum Thema
Abgrenzung Werkverträge /
Arbeitnehmerüberlassung
Wie sich aus den vorstehend zitierten Entscheidungen ergibt, hat sich die
Rechtsprechung bereits im Wesentlichen festgelegt. Sie stellt darauf ab, ob ein
identifizierbarer Dienstleistungs- oder Werkauftrag vorliegt, der im Fall von
Werkverträgen abnahmefähig und der Gewährleistung zugänglich ist. Bei
Rahmenverträgen fordert die Rechtsprechung konkretisierte, möglichst
schriftlich abgefasste Einzelaufträge oder Leistungsbeschreibungen. Bei der
Eingliederung in die Betriebsabläufe des Bestellers wird abgestellt darauf, ob
personen- und arbeitsbezogene oder objektbezogene Anweisungen seitens des
Bestellers gegeben werden. Ergänzend wird abgestellt auf die weiteren Umstände
der Eingliederung der Mitarbeiter des Werkunternehmers in den Betrieb des
Bestellers. Fraglich ist allerdings, ob diese Kriterien der Vielfältigkeit der
Fallgestaltungen und der wirtschaftlichen Entwicklung gerecht werden.
Prof. Wolfgang Hamann hat in seinem Beitrag „Fremdpersonal im Unternehmen —
Industriedienstleistung statt Leiharbeit"36 auf die
vielfältigen Fallgestaltungen hingewiesen, insbesondere darauf, dass
Anweisungen nicht nur den Vertragsgegenstand, sondern gleichzeitig auch die
Arbeitsleistung konkretisieren können.
Beispiel:
Ein Unternehmen hat es auf der Grundlage eines als
Werkvertrag bezeichneten Vertrages übernommen, bei einem Lebensmitteldiscounter
die Verkaufsregale aufzufüllen. Die Anzahl der Regalauffüller
und die Zeiten, in denen das Einsortieren zu erfolgen hat sind werktäglich in
dem Vertrag festgelegt Die Konkretisierung erfolgt nun gegenüber den
Erfüllungsgehilfen des Werkunternehmers. Diese werden vom Personal des
Lebensmitteldiscounters darüber informiert, welche Warenpalletten in welcher
Reihenfolge wo einzusortieren sind.
38 Hamann, a. a. 0.
Seite 22 von 26
In dieser Anweisung liegt einerseits die
Festlegung von Art und Reihenfolge der zu erbringenden Werkleistung. Allerdings
erfahren die Regalauffüller erst durch diese
Information, wann und was sie zu tun haben. Setzte der Lebensmitteldiscounter
eigenes Personal als Regalauffüller ein, würde er
diesen entsprechende Anweisungen erteilen. Das LAG Hessen entschied in diesem
Fall auf Arbeitnehmerüberlassung.39
Gegenbeispiel:
Ein Transportunternehmen
hatte es übernommen, innerwerkliche Muldentransporte sowie
Staubkohlentransporte zu Hochöfen durchzuführen. Die Transporte mussten
zeitlich exakt auf die Arbeitsabläufe an den Hochöfen abgestimmt sein — „just
in time". Die genauen Einsätze erhielten die Fahrer über Funk vom
Auftraggeber.
Das LAG Düsseldorf4° klassifizierte dies
als Konkretisierung der von dem Transportunternehmen übernommenen Werkleistung.
Die Fahrer des Auftragnehmers hätten die Weisungen des Auftraggebers zu erfüllen,
weil sie deren Befolgung aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Auftragnehmer
schuldeten. Genau dies ist jedoch Wesensmerkmal der Arbeitnehmerüberlassung.
Oft genug organisiert der Vertragsarbeitgeber die
Arbeit seiner Mitarbeiter im Fremdbetrieb nicht allein. Der Auftraggeber wirkt
bei der Steuerung des Arbeitseinsatzes vielmehr mit. Dies geschieht nicht
selten zur Optimierung des
Arbeitsprozesses. Hier dürfte die Grenze zur verdeckten
Arbeitnehmerüberlassung erst dann überschritten sein, wenn der
Vertragsarbeitgeber keinerlei Einfluss mehr ausübt.
Kritisch wird die Situation bei zwischengeschalteten Aufsichtspersonen. Die
Arbeitnehmer erhalten zwar ihre einsatzbezogenen Weisungen ausschließlich von
ihrem Vertragsarbeitgeber, dieser gibt jedoch lediglich die Anweisungen des
Auftraggebers weiter. Hier entscheidet nicht, wer die Weisungen ausspricht,
sondern von wem sie herrühren. Entscheidend kommt es dabei jedoch darauf an, ob
die Weisungen eins-zu-eins weitergegeben werden, oder aber ob die Weisungen des
Auftraggebers durch die Vorgesetzten des Auftragnehmers sodann in eigener
Verantwortung umgesetzt, organisiert und koordiniert werden.
39 LAG Hessen, aiB
1990, 77
40 LAG Düsseldorf, 19.03.2009, 11 Ta
BV 303/08
Seite 23 von 26
Geht
man mit der Rechtsprechung davon aus, dass für die Annahme eines Werkvertrages
ein dezidiertes Leistungsverzeichnis und Objekt- und werkbezogene Anweisungen
ausreichend sind, kann dies dazu führen, dass nach einer „Atomisierung"41
der beauftragten Leistung in einem Leistungsverzeichnis die Anweisungen zur
Ausführung der Arbeit von dem Auftraggeber unter Bezugnahme auf die einzelnen
Leistungspositionen gegeben werden. Es wäre darin also ein Werkvertrag zu
sehen, obwohl die Atomisierung zwanglos als eine Eingliederung der
Arbeitsabläufe und diese auszuführenden Fremdarbeiten in dem Betrieb des
Auftraggebers zu sehen ist42
Dem
folgt das BAG43. Der Annahme eines Werk- oder Dienstvertrages stehe
es nicht entgegen, dass dem Dienst-/Werkunternehmer hinsichtlich der Erbringung
der Dienst- oder Werkleistung kein eigener Entscheidungsspielraum mehr
verbliebe, weil diese hinsichtlich aller Einzelheiten bezüglich Ausführung,
Umfang, Güte, Zeit und Ort ihrer Erbringung detailliert festgelegt sei.
Wie
Hamann" zutreffend feststellt, hat die eindimensionale Sichtweise der
Rechtsprechung, die der werkvertraglichen Sichtweise den Vorrang gibt,
weitreichende Konsequenzen. Diese Sichtweise macht meines Erachtens den Kern
des Abgrenzungsproblems aus. Sie zielt ersichtlich darauf ab, den Unternehmen
neben der gesetzlich geregelten Arbeitnehmerüberlassung eine weitere
Alternative mit weniger gravierenden Konsequenzen zur Verfügung zu stellen.
Der
Hinweis der Rechtsprechung auf § 645 Abs. 1 S. 1 BGB in Bezug auf das
werkvertragliche Weisungsrecht ist meines Erachtens verfehlt. § 645 Abs. 1 BGB
spricht dem Besteller kein Weisungsrecht zu. Die werkvertragliche
Anweisungsbefugnis bewirkt vielmehr lediglich eine Verlagerung der
Vergütungsgefahr. Der Werkbestellter haftet für Fehler des Werkes, wenn diese
auf von ihm gegebenen Weisungen beruhen, er sich also in den
Verantwortungsbereich des Werkunternehmers einmischt. Das Recht,
Ausführungsanweisungen zu erteilen, liegt damit gerade nicht beim
41 siehe Hamann a. a. 0.
42 LAG Köln, Beschluss vom 21.07.2010, 9 Ta
BV 6/10
43 BAG EZA Nr. 110 zu §
99 BetrVG 1972
44 Hamann, a. a. 0.
Seite 24
von 26
Werkbesteller, sondern vielmehr bei dem Werkunternehmer, der für die
Erbringung des bestellten Gewerks qualifiziert ist.
Demgegenüber folgt das Direktionsrecht des Arbeitgebers für die
bedarfsgerechte Steuerung des Arbeitseinsatzes unmittelbar aus § 106 Satz 1
GewO. Es ist ein originäres Recht des Arbeitgebers im Vertragsverhältnis mit
dem Arbeitnehmer. Folgt man diesem Gedanken, können Anweisungen des
Auftraggebers in der Regel nur arbeitsrechtliche, personenbezogene Anweisungen
an die eingesetzten Fremdarbeiter sein.
3. Rechtsfolgen
verdeckter Arbeitnehmerüberlassung
Stellt sich heraus, dass es sich bei dem zwischen den Parteien vereinbarten
Werk- oder Dienstvertrag tatsächlich um eine Arbeitnehmerüberlassung handelt,
kommt es darauf an, ob der Auftragnehmer über eine Genehmigung nach § 1 AÜG
verfügt. Ist dies der Fall, entsteht gemäß § 10 Abs. 1 AÜG kein
Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer.
Allerdings hat der betroffene Arbeitnehmer, sollte seine Vergütung unter
der vergleichbaren Vergütung im Entleiherbetrieb oder
unterhalb einschlägiger Tarifverträge liegen, einen entsprechenden
Vergütungsanspruch.
Verfügt der WerkunternehmerNerleiher nicht über
die erforderliche Genehmigung nach § 1 AÜG, greift die Fiktion des § 10 AÜG. Es
kommt auf den Zeitpunkt des Eintritts der Unwirksamkeit ein Vertrag mit dem
Entleiher mit allen Konsequenzen zustande. Es greifen die
Arbeitnehmerschutzrechte. Es entstehen Differenzlohnansprüche,
Versorgungsansprüche etc.
Die Situation wird sich verschärfen, wenn die Koalition wie angekündigt die
Regeln des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes verschärft. Wird der Begriff der
vorübergehenden Überlassung zeitlich definiert, hilft dem Werkunternehmer im
Falle des Scheinwerkvertrages auch eine Genehmigung nach § 1 AÜG nicht, wenn
wie üblich, eine längerfristige Zusammenarbeit erfolgt ist.
Seite
25 von 26
und Sozialversicherungsbeiträgen. Nicht entrichtete
Sozialversicherungsbeiträge begründen eine Strafbarkeit nach § 266 a StGB. Für
nicht gezahlte Lohnsteuer haften die Beteiligten als Gesamtschuldner, es droht
eine Strafbarkeit wegen vorenthalten von Lohnsteuer nach § 370 AO.
Aber auch dann, wenn nicht von einem Scheinwerk- oder -dienstvertrag
auszugehen ist, Arbeitsüberlassung mithin nicht vorliegt, können so gewählte
Konstruktionen ein erhebliches Risiko beinhalten. Dies zeigt eine Entscheidung
des BGH vom 02.02.200645. Es ging hier um die Frage, ob ein
Sicherungsdienst, der aufgrund einer Rahmenvereinbarung für die DB Netz AG
tätig war, für einen aufgrund mangelhafter Sicherung eines Bahnüberganges
entstandenen schweren Unfall mit Personenschaden haftet. Der BGH hat den
Vertrag als Dienstvertrag und nicht als Arbeitnehmerüberlassung qualifiziert,
obwohl die Anweisungen zu Zeit, Ort und Umfang der Sicherungsmaßnahmen von der
Deutschen Bahn kamen. Folge davon war die Haftung des Auftragnehmers aus
Vertrag und aus § 823 BGB. Haftungsmilderungen für den beim Auftragnehmer
beschäftigten Arbeitnehmer griffen danach nicht. Die Haftung des am
Bahnübergang tätigen Arbeitnehmers, der den Unfall durch Unaufmerksamkeit
verursacht hatte, konnte nur durch Anwendung verjährungsrechtlicher
Vorschriften verhindert werden. Dabei wies der BGH darauf hin, dass
haftungsprivilegierende Vorschriften zugunsten des bei dem Auftragnehmer
angestellten Mitarbeiters in diesem Fall nicht eingreifen.
IV. Beteiligungsrechte
des Betriebsrats, Aspekte
bei Einsatz von Werkverträgen
Beteiligungsrechte nach § 99 BetrVG bestehen dann, wenn Drittmitarbeiter so
in die Betriebliche Organisation eingegliedert werden, dass der Arbeitgeber das
für ein Arbeitsverhältnis typische Weisungsrecht inne hat.46
Damit
ist bei dem Einsatz von Arbeitnehmern von Fremdfirmen auf der Grundlage echter
Dienst- und Werkverträge für die Anwendung von § 99 BetrVG kein Raum, da es an
der für die Eingliederung der Arbeitnehmer in den
45 BGH, 02.02.2006, Az. 111 ZR 61105
46 Siehe oben LAG Hamm, a.
a. 0.
Seite 26
von 26
Fremdbetrieb
typischen Personalhoheit und dem arbeitsbezogenen Direktionsrecht des Inhabers
des Einsatzbetriebes fehlt.47
Mitbestimmungsrechte nach § 87 BetrVG bestehen nicht, da der Betriebsrat für
Beschäftigte des Werkunternehmers kein Mandat hat.48
Zur
Durchführung seiner Aufgaben ist der Betriebsrat rechtzeitig und umfassend vom
Arbeitgeber über den Einsatz von Werk- und Dienstverträge zu unterrichten, § 80
Abs. 2 BetrVG. Die Unterrichtungspflicht erstreckt sich auch auf Beschäftigung
von Personen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen. Der
Betriebsrat soll in eigener Verantwortung beurteilen können, ob seinerseits
Mitbestimmungs- oder Beteiligungsrechte bestehen. Er hat daher Anspruch auf
Vorlage der zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlichen Unterlagen gemäß §
80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Hierzu gehört die Vorlage der abgeschlossenen Dienst-
und Werkverträge.49 Das Informationsrecht besteht allerdings nur,
soweit ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats betroffen sein kann und ein
Informationsdefizit des Betriebsrats tatsächlich vorliegt.
47 BAG, Beschluss 05.03.1991, 1 ABR 39/90; BAG, Beschluss
13.12.2005, 1 ABR 51/04
48 BAG, Beschluss
27.01.2004, 1 ABR 7/03 48 BAG, 31.01.1989, 1 ABR
72/87